Donnerstag, 5. Dezember 2024

Herr Oskar und der Engel

 

 


 

 

Herr Oskar und der Engel

 

Der Pfarrer der Kirche in dem kleinen Ort St. Veit war ein freundlicher junger Mann, der Mitleid mit der armen Kirchenmaus hatte und ihr jeden Tag ein kleines Stück Käse, oder manchmal Brot vor ihr Mausloch legte.
Und zur Weihnachtszeit sogar ein Plätzchen.
Die alte Pfarrköchin, die schon seinem Vorgänger gedient hatte, schimpfte wie ein Rohrspatz, als sie es eines Tages mitbekam.
„Wie können sie nur dieses Ungeziefer auch noch füttern. Mäuse vermehren sich wie die Heuschrecken und bald werden sie über unsere Speisekammer herfallen!“
„Nun übertreibe nicht  Rosa, soviel ich gesehen habe, handelt es sich um einen alten Junggesellen.“
„Ha! Und sie denken weil er in einer Kirchen wohnt, lebt er im Zölibat!“
Pfarrer Gietl lachte, doch dann wurde er wieder ernst.
„Rosa auch eine Maus ist Gottes Geschöpf. Denk an den Hl. Franziskus, der alle Tiere liebte. Und nun bringe mir bitte eine Tasse Kaffee in mein Studierzimmer.“
Rosa brummte vor sich hin und hantierte ziemlich laut mit ihren Kochtöpfen.
Der Pfarrer verließ schnell die Küche.
Im Grunde ihres Herzens war seine Köchin eine gute Seele, die es nur hinter ihrer poltrigen Art verbarg.
Das bestätigte sich wenige Tage später.
Als Pfarrer Gietl gerade die Kirche betreten wollte, sah er Rosa, wie sie ein Stückchen Apfel vor das Mauseloch legte.
Still zog er sich zurück.
So war Konrad alles andere als eine arme Kirchenmaus und konnte seinen Vetter Max und dessen Familie öfter einladen und sie aus seiner gut gefüllten Speisekammer bewirten.

 


Herr Oskar genoss diese Zeit, wenn seine Untermieter bei ihrem Vetter weilten.Manchmal ging es doch recht turbulent zu, wenn die Kinder durch den Wagen tollten.
Oskar liebte seine Familie, aber war nicht mehr der Jüngste. So ein bisschen Ruhe ab und zu tat ihm doch gut.
So döste Oskar vor sich, als eine wütende Stimme schimpfte: „Verflixt, wo bin ich denn hier hingeraten!“
Herr Oskar ließ seine Scheinwerfer aufflammen und sah einen seltsam gekleideten Jungen mit blonden Ringellocken, der sich mit finsterem Gesicht umsah.
Geblendet durch das helle Licht der Scheinwerfer, schützte er seine Augen mit der Hand und stapfte auf das Auto zu.
Er klopfte an die Scheibe und Herr Oskar öffnete das Fenster. Der Junge schaute erstaunt in das Innere,
„Der Wagen ist ja leer, wer hat dann das Fenster geöffnet?“
„Na ich,“ lachte Oskar vergnügt, „aber komm doch herein mein Junge, hier ist es wärmer und gemütlicher.“
Dieser kletterte durch das Fenster und ließ sich auf den Sitz fallen.
Die Scheiben glitten nach oben und sperrten die Kälte aus.
„Darf ich mich vorstellen, ich bin Herr Oskar, das kleine rote Auto.“
„Toll, ich wollte schon immer einmal in so einem Ding sitzen,“ murmelte der unbekannte Insasse und betrachtete aufmerksam das Armaturenbrett und den Schalthebel.
„Hast eine Automatik eingebaut?“
Oskar lachte, „ nein, die Elfenkönigin hat mich mit einem Zauber belegt, zum Dank, dass ich ihre Tochter gerettet habe. Aber du scheinst noch nie in einem Auto gesessen zu haben. Gibt es, da wo du herkommst keine Autos?“
„Entschuldige, ich habe  ich noch gar nicht vorgestellt. Ich bin der Engel Franziskus und gerade frisch aus dem Himmel gepurzelt.“
„Wie dass denn?“
Franziskus runzelte die Stirn.
„Das weiß ich auch nicht. Eben war ich noch oben und dann stehe ich plötzlich  hier mitten in den Einöde.“
„Das ist wirklich seltsam, aber nun lass uns schlafen, Morgen sehen wir weiter.“
Wie freuten sich die Tiere, als sie am nächsten Morgen den Engel kennen lernten und aufgeregt erzählten sie ihm , dass letztes Jahr am HL. Abend das Christkind bei ihnen im Wald war.
Und natürlich wollen sie wissen, ob es auch dieses Jahr wieder  kommen würde und er deshalb hier wäre.
Franziskus, dem schon der Kopf schwirrte, weil alles durcheinander redeten, wollte gerade antworten, als ein Rauschen in der Luft zu hören war.Mit einem lautem Knall landete Frau Eule auf Herrn Oskars Dach.
„Oho!“ rief dieser empört, „zerkratz mir nicht das Dach mit deinen riesigen Krallen!“
 

 

(c) Monika Mandelik

„Ach halt die Klappe, Oskar, du bist ein Schrottauto, da macht ein Kratzer mehr oder weniger nichts aus.
Außerdem bist wohl du wieder an dem Höllenlärm hier schuld.“
Sie ließ ihren zornigen Blick über die Tiere gleiten, die plötzlich ganz still waren.
„Sagt einmal, könnt ihr keine Rücksicht auf eine alte Frau nehmen, die die ganze Nacht auf war und etwas schlafen möchte?“
Ihr Blick fällt auf den Engel.
„Aha, Besuch, du bist wohl für den Spektakel hier verantwortlich.“
Franziskus nickte schüchtern.
Frau Eule‘s Blick wurde milder.
„Du siehst aus wie die kleinen Jungen, die letztes Jahr das Christkind begleitet haben. Will es uns auch dieses Jahr besuchen und bist du deshalb hier?“
Franziskus zuckte die Schultern.
„Ich weiß nicht, gestern Abend war ich im Himmel und auf einmal stand ich hier mitten im Wald.“
„ Alles im Leben hat einen Sinn. Hm, vielleicht hat Gott einen Auftrag für dich?“
„Aber er hat mir nichts gesagt."
„Vielleicht sollst du es selber heraus finden. Wie heißt du denn?“
„Franziskus!“
In den Augen der Eule blitzte es auf. Sie breitete ihr Flügel aus, warf einen strengen Blick in die Runde und brummte.
„Ich muss jetzt schlafen. Ich hoffe ihr nehmt Rücksicht auf mich.“
Sie rauschte davon.
Oskar wurde sehr nachdenklich. Irgendwie hatte er das Gefühl, als wüsste seine Freundin, die Eule mehr, als sie sagen wollte.
Franziskus streifte mit den Tieren durch den Wald, lernte auch die anderen Waldbewohner kennen, darunter auch die Wichtel. Nur Elfen traf er keine, denn die schliefen tief unter der Erde.
Als er abends wieder ins Auto kletterte, erzählte er aufgeregt von seinen Erlebnissen. Doch plötzlich wurde er still und traurig.
„Wenn ich nur wüsste warum ich auf die Erde gekommen bin.“ flüsterte er.
„Du wirst es erfahren, Gott hat dich nicht auf die Erde geschickt ohne dafür zu sorgen, dass du Hilfe bekommst. Hab Vertrauen.“ tröstete Oskar.
Der Engel rollte sich auf dem Sitz zusammen und bald ist nur noch sein gleichmäßiges Atmen zu hören.

 


Am späten Vormittag des nächsten Tages kam Kathrin mit ihrer Familie wieder zurück. Wie staunten sie, als sie den Engel auf dem Beifahrersitz
sahen. Sie schlüpften in das Auto, kletterten auf die Rücklehne und wollten wissen, wie es im Himmel aussah, ob das Christkind auch dieses Jahr wieder zu ihnen kommt.
Herr Oskar hörte schmunzelnd dem Durcheinander zu. Obwohl er die Ruhe genossen hatte, so merkte er doch wie sehr er seine Familie vermisst hatte.
Es klopfte am Fenster und Herr Oskar ließ die Scheibe herunter gleiten.
Frau Eule`s rundes Gesicht wurde sichtbar und quietschend verschwanden die Mäuse im Riss der Rückbank.
„Feiglinge,“ brummte die Eule.
„Rück rüber Kleiner, ich denke ich weiß warum die hier bist.“
Die Eule machte es sich auf dem Beifahrersitz bequem.
„Kommt heraus, ihr kleinen Feiglinge, ihr wollt sicher auch wissen, was ich zu berichten habe. Außerdem habe ich Herrn Oskar versprochen euch nichts zu tun. Und ich pflege meine Versprechen zu halten.
Langsam kletterten die Mäuse aus ihrem Versteck, setzten sich aber vorsichtshalber weit entfernt von der Eule.
Diese kicherte, wurde aber sofort wieder ernst.
„Als du mir gestern deinen Namen nanntest, da kam mir die Idee, das könnte vielleicht ein Hinweis sein.“
„Ein Hinweis, worauf?“ Etwas ratlos sah der Engel den Vogel an.
„Im Dorf lebt ein junger Pfarrer, der den Hl. Franziskus sehr verehrt. Dieser junge Mann ist der Sohn eines reichen Fabrikanten und sollte sein Nachfolger werden. Doch je älter der Junge wurde, fühlte er, dass er lieber Gott und den Menschen dienen wollte, als die Fabrik zu übernehmen. Nach einem heftigen Streit warf sein Vater ihn aus dem Haus. Vor zwei Jahren verarmte der alte Mann, sein Sohn weiß nicht, dass sein Vater jetzt ein kümmerliches ärmliches Leben führt. Vielleicht ist es deine  Aufgabe die beiden zusammen zu führen.“
„Woher weißt da das alles?“ will Herr Oskar wissen.
„Ich komme viel herum.“
„Gib doch zu, dass du neugierig bist und die Menschen belauscht.“ rief Klein Oskar, der frechste der Mäusekinder.
Die Eule drehte sich so schnell um, dass alle fünf Mäuse sich erschrocken duckten.
„Hör mal zu du Großmaul, ich habe deinem Patenonkel versprochen, euch nicht zu fressen, aber ich habe nicht versprochen, dich so lange zu beuteln, bis dir hören und sehen vergeht.
Herr Oskar, öffnen sie bitte das Fenster. Ich möchte weiter schlafen.“
Die Eule schlüpfte hinaus.
„Aber was soll ich denn tun?“ rief der Engel ihr nach.
„Das musst du schon selber wissen, ich habe dir gesagt was deine Aufgabe ist.“
Mutlos ließ Franziskus sich auf den Sitz zurück fallen.
„Nun, nun," tröstete Herr Oskar, "das wird sich alles finden. Als erstes solltest du versuchen, Pfarrer Gietl  kennen zu lernen.“
„Da kann ich helfen,“ rief Max und kletterte nach vorne. „ Mein Vetter Konrad wohnt doch in der Kirche, ich kann dich zu ihm bringen.“
„Können wir gleich zu ihm.“
Max betrachtet zweifelnd die kleinen Flügel des Engels
„Kannst mit den Dingern denn fliegen?
Franziskus wird rot. „Nur ganz kurze Strecken, denn sie sind noch klein, aber sie wachsen jedes Jahr ein bisschen.“
„Dann werden wir gehen.“
Kurze Zeit später wanderten eine Maus und ein kleiner Engel durch den Wald.
 


 

An der Kirche angekommen bat Max den Engel zu warten, denn er wollte erst nachsehen, ob Menschen in der Kirche waren.
Flink schlüpfte die Maus durch die Tür, die einen Spalt geöffnet war und raste kreuz und quer durch die Kirche.
Kunibert betrachtete kopfschüttelnd seinen jungen Verwandten.
„Was rast du denn wie ein Verrückter durch die Kirche?“
„Ich wollte nur nachsehen, ob Menschen da sind.“
Konrad lachte uns sein grauer Schnurrbart hüpfte auf und ab,“ da hättest du doch mich fragen können, hast du nicht an meinen Hinterausgang gedacht.“
„Das habe ich in der ganzen Aufregung ganz vergessen,“ kicherte Max.
Dann erzählte er seinem Vetter von dem Engel, der auf die Erde geschickt worden ist, um Pfarrer Gietl zu helfen.
Konrad begann zu strahlen.
„ Das wird mein schönstes Weihnachtsfest!
Jede Nacht wenn alle schlafen, kommt der Pfarrer in die Kirche und betet und dabei laufen ihm die Tränen übers Gesicht. Wie gerne würde ich ihm helfen, aber nun hol den Engel herein.“
Staunend sah dieser sich in der kleinen aber hübschen Kirche um. Vor dem Altar war die Krippenszene nachgestellt. Darüber hing ein großer Adventskranz und bei drei der Kerzen war der Docht schwarz und Morgen würde die vierte Kerze angezündet.
„Gefällt dir unsere Kirche. Max hat mir erzählt warum du hier bist, komm setzen wir uns auf eine Bank und reden darüber.“
Konrad erzählte nun, dass Pfarrer Gietl jede Nacht weinend in der Kirche betet. Und Franziskus erzählt ihm, was die Eule über seinen Vater berichtet hat.
Nun stecken sie die Köpfe zusammen und beraten.Erschrocken fuhren sie auseinander, als sie Stimmen hören.
„Das sind die beiden Frauen, die die Kirche putzen und die Blumen richten,“ flüsterte Konrad.
Die Mäuse verschwanden in Konrads Wohnung. Der Engel aber lief zur Krippe, kniete sich nieder und faltete die Hände.
„Ein schlaues Kerlchen,“ grinste Max.In der Nacht kam der Pfarrer durch die Sakristei in die Kirche, betete und dabei liefen ihm die Tränen über das Gesicht.
Franziskus schlich leise durch die Kirche und setzte sich still neben den Betenden.
Als dieser sich schwerfällig erhob, sah er den kleinen Kerl neben sich.
„Was machst denn du so spät noch hier, solltest du nicht Zuhause im Bett liegen. Deine Eltern werden sich Sorgen machen.“
Franziskus kicherte. „Ich bin ein Engel und wurde von Gott gesandt, um dir zu helfen.“
Pfarrer Gietl fuhr sich über die Augen und betrachtete sich den kleinen Gesellen genauer, das weiße Kleidchen und tatsächlich die kleinen Flügel, die hinten am Rücken hervor spitzten.
Träumte er?
Konrad und Max liefen auf der Bank auf sie zu und machten Männchen.
Der junge Mann schlug beide Hände vors Gesicht und murmelte.
„Nun macht sich der Schlafmangel bemerkbar. Ich habe Halluzinationen.“
Die Mäuse schlichen sich davon, doch der Engel blieb sitzen.„Du bist ja immer noch da,“ rief der Pfarrer, als er die Hände vom Gesicht nahm.
Franziskus grinste.
“ Sicher, du glaubst doch an Gott und du glaubst auch an Engel. Warum glaubst du nicht, dass Gott deine Gebete erhört  und mich gesandt hat, um dir und deinem Vater zu helfen?“
„Ich glaube. Ich brauche erst mal Schlaf. Komm mit, du kannst im Pfarrhaus übernachten, aber lass dich nicht von meiner Haushälterin erwischen.“

Es klopfte an der Tür des Zimmers, in dem der Engel übernachtet hatte und der Pfarrer trat ein.
„Hier ich habe dir einige Kleider aus dem Paket für die Kleidersammlung heraus gesucht, die Größe dürfte stimmen. Nach dem Frühstück fahren wir zu meinem Vater, ich habe inzwischen seine Adresse erfahren.“

Der Engel zog die Jeans und den warmen Pullover über und folgte dem jungen Mann. Vor der Küche flüsterte dieser. Ich habe meiner Haushälterin erzählt, du hättest dich verlaufen und ich hätte dich in der Kirche gefunden.“
Rosa hatte den kleinen Jungen sofort in ihr Herz geschlossen und verwöhnte ihn direkt, was dieser sich grinsend gefallen ließ.
Franziskus saß angeschnallt auf der Rückbank des Autos und sah staunend wie die Landschaft an ihm vorüberflog.
Vor einem heruntergekommenen Haus hielt das Auto an und die beiden stiegen aus.
Zweifelnd schaute der Engel auf das baufällige Gebäude.
„Bist du sicher, dass wir hier richtig sind?“
Oliver Gietl nickte sorgenvoll und öffnete die zerkratzte Haustür.
Der Engel folge ihm die ausgetretenen Stufen nach oben.
Der Pfarrer klingelt. Schlurfende Schritte näherten sich der, Tür die sich langsam öffnet.Der junge Mann erschrak. Beinahe hätte er seinen Vater nicht erkannt. Die Kleider schlotterten um den einst so stattlichen Mann, die schneeweißen Haaren hingen in Strähnen in das unrasierte Gesicht.
„Papa!“ Er nahm den alten Mann in die Arme und beiden weinten.
Franziskus setzte sich leise auf das Sofa und am liebsten hätte er auch geweint.
Lange sprachen Vater und Sohn miteindander und alles was zwischen ihnen lag verschwand. Es zählte nur noch das Heute.
Während sein Vater duschte und sich frisch machte, packte sein Sohn einen Koffer.
Sie hatten beschlossen, dass der alte Herr nun im Pfarrhaus bei seinem Sohn leben sollte.
Schon lange hatte er bereut, dass er damals so hart zu seinem Sohn gewesen war, nur sein Stolz hatte ihn daran gehindert sich zu versöhnen. Erst als das Leben ihn in eine harte Schule genommen hatte, war er demütig geworden.
Und Gott hatte zum richtigen Zeitpunkt seinen Engel gesandt.
Als das Auto vor dem Pfarrhaus hielt bemerkt Oliver erst, dass die Rückbank leer war, nur ein kleine weiße Feder lag noch da.
„ Danke Franziskus,“ flüsterte er.
Rosa nahm den alten Herrn sofort unter ihre Fittiche. Sie würde ihn schon wieder aufpäppeln.
Als Max in den Wald zurück kehrte und seinen Freunden berichtete was sich im Pfarrhaus inzwischen ereignet hatte, waren allen glücklich und zufrieden.


© Lore Platz


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