Sonntag, 1. Dezember 2024

Der Stern, der vom Himmel flog

 


Der Stern, der vom Himmel flog

Tinchen war ein kleiner Stern. Er war keiner der wichtigen Sterne bei denen die Sternengucker auf der Erde in Verzückung gerieten.
Nein, Tinchen war nur ein kleiner unwichtiger Stern unter Millionen Sternen.
Aber er war glücklich und freute sich wenn er in der Nacht sein Licht anknipsen durfte und er hing an einem ganz besonderen Platz, direkt neben dem großen Himmelstor.
Hier war immer etwas los.
Wenn er im Morgengrauen sein Licht ausknipste und Frau Sonne ihre Kinder auf die Erde schickte, stolperte über die Milchstraße das Sandmännchen müde und verschwand hinter dem Tor, um möglichst schnell in sein Bett zu kommen.
Kurze Zeit später purzelten dann die Engel kichernd und lachend an ihm vorbei, die die Engelsschule besuchten.
Tinchen liebte die pausbäckigen immer fröhlichen Gesellen.
Besonders um die Weihnachtszeit war es am schönsten.
Die Engel sangen, während sie hämmerten, klopften, nähten und backten.
Der Duft nach Plätzchen umschmeichelte Tinchens Nase und sie schloss verzückt die Augen.
Aufregend und hektisch wurde es jedes mal wenn der
Schlitten des HL. Nikolaus bepackt wurde.
Und eines Tages geschah ein großes Unglück.Da sie zu spät waren, nahm Rupprecht die Kurve zu scharf, als er das Himmeltor verließ und traf Tinchen mit der Kufe und diese fiel und fiel und fiel in die Finsternis.
Hart schlug sie auf. Vorsichtig öffnete der kleine Stern die Augen und sah sich staunend um. Sie lag im Schnee neben einigen großen grauen Mülltonnen.
 


 

Es raschelt und eine Maus kam mit ihren drei Kindern an getrippelt.
Sie beschnuppert das seltsame Ding.
„Mama was ist das? " fragen die Kinder.
„Ich weiß es nicht,“ wieder schnuppert Mama Maus Tinchen nieste und kicherte.
„Lass das, das kitzelt!“
Erschrocken sprang die Maus zurück und ihre Kinder schmiegten sich Schutz suchend an sie.
„Habt keine Angst!“
„Wer bist du?“
„Ich bin ein Stern und gestern Abend noch leuchtete ich am Himmel, leider wurde ich von Nikolaus Schlitten getroffen und nun liege ich hier auf der Erde.“
Tinchen ließ ihr Licht leuchten und die kleinen Mäuse jubelten, „oh wie schön!“
Zutraulich kamen sie näher und Tinchen erzählte ihnen vom Himmel.
Plötzlich hob Mama Maus die Nase und rief warnend.
„Kater Carlo kommt, schnell versteckt euch!“
Blitzschnell verschwanden die Mäuse zwischen den Tonnen und durch ein Loch in der Mauer.
Neugierig sah Tinchen dem Kater entgegen, der mit hoch erhobenen Kopf und Schwanz über den Hof schlenderte, als würde er ihm gehören.Nun hatte er die Mülltonnen erreicht und schnupperte an der Stelle an der die Mäuse verschwunden waren.
Missmutig wandte er sich ab. Da erblickte er Tinchen.
Neugierig beugte er sich hinunter und Tinchen kicherte, als seine Barthaare sie kitzelten.
„Geh weg du Ungetüm!“
„Das komische Ding kann ja sprechen?“
„Ich bin kein komisches Ding, ich bin ein Stern!“
„Pah, Sterne hängen am Himmel und liegen nicht im Schnee!“
„Naja, aber ich bin halt heruntergefallen, als die Kufe von Nikolaus Schlitten mich traf.“
Carlo wandte den Kopf und seine Augen wurden zu Schlitzen.
„Ich denke wir sollten hier verschwinden, da kommen die grässlichen Jungen, spring auf meinen Rücken, du kannst mir ja später erzählen, wie du auf die Erde gekommen bist, aber im Moment ist es hier für uns beide gefährlich.“
Mit Tinchen auf dem Rücken sauste er Hacken schlagend über den Hof verfolgt von den grölenden Jungen.
Aufatmend lehnte sich der Kater an eine Hausmauer und Tinchen glitt von seinem Rücken.
„Die hätten wir abgehängt!“ grinste der kleine Stern, dem das ganze riesigen Spaß gemacht hatte.
Ein grollendes Geräusch aber ließ ihn zusammen fahren und ängstlich sah er sich um.
„Was war den das?“
Carlo wird etwas rot und meinte verlegen.“Mein Magen, ich habe Hunger.“
„Ich habe nie Hunger.“
„Na dann sei froh, ich schon und zwar gewaltigen, aber ich weiß wo wir hingehen können, komm, steig auf.“

Wieder geht es durch verschiedene Straßen. Vor einem großen Gebäude auf dessen Hof viele Kinder herumtollen bleibt Carlo stehen.
„Wo sind wir?“
„ Das ist eine Schule und da drüben, das Mädchen mit der roten Mütze  ist meine Freundin Annegret. Die teilt immer ihr Pausenbrot mit mir.“
„Eine Schule, wie schön, im Himmel gibt es auch eine Engelsschule.“
„Ach ich dachte Engel sitzen nur auf den Wolken und zupfen auf so einem komischen Ding und singen.“
Tinchen lachte herzlich.
„Du meinst eine Harfe, viele Menschen glauben das.
 Nein die Engel singen und lachen gerne, aber sie müssen auch lernen.“
Carlo zuckte nur mit den Schultern, denn er hatte Annegret entdeckt, die zu ihnen herüberkam.
Schnurrend strich er um ihr Beine, das Mädchen streichelte ihn und warf ihm einige Stücke ihres Pausenbrot hin. Während der Kater gierig fraß, betrachtete Tinchen das Mädchen.
„Hallo, ich bin Tinchen.“
„Du kannst sprechen?“
Annegret streckte die Hand aus und der Stern sprang hinauf und nun erzählte sie dem Mädchen wie sie auf die Erde gekommen ist.
Carlo, der sich inzwischen geputzt hatte, meinte,
 „frag Annegret, ob du mit ihr kommen kannst, es ist viel zu gefährlich hier unten für dich und ich kann nicht immer auf dich aufpassen.“
Tinchen schluckte.
„Carlo lässt fragen, ob ich mit dir kommen darf, da es hier auf der Erde zu gefährlich für mich ist.“
Annegret sah den Kater lächelnd an.
„Carlo heißt du, schön, dass ich das jetzt weiß. Gerne nehme ich deine kleine Freundin mit nach Hause.“
Wie staunte Tinchen, als sie Annegrets zuhause sieht. Überall war weihnachtlich geschmückt,ein großer Adventskranz stand in der Küche auf dem Tisch und an den Wänden hingen selbstgebastelte Strohsterne, verziert mit roten Bändern.
Nun begann für den kleinen Stern eine schöne, aufregende Zeit.
Während Annegret vormittags in der Schule war, versteckte sich Tinchen in deren Zimmer.
Nachmittags aber durfte sie gut verwahrt in der Tasche des Schneeanzugs  das Mädchen begleiten, wenn es mit ihren Freunden auf dem Schlitten den Berg hinab sauste, oder über den zugefrorenen See mit den Schlittschuhen glitt.
Besonders schön war es abends, wenn sie auf dem Kopfkissen in Annegrets lag und sie bis spät in die Nacht quatschten. Das Mädchen wollte alles über ihr Leben im Himmel hören. Doch je mehr Tinchen erzählte, umso größer wurde ihr Heimweh.
Und als Annegret schlief, setzte sich der kleine Stern auf die Fensterbank und während er hinauf in die sternenklare Nacht sah, liefen die Tränen über sein Gesicht.
Eines Tages, es war kurz vor Weihnachten hörte Tinchen eine Autotür schlagen und sah wie Annegrets Papa eine ältere Dame ins Haus führte.
Das war wohl die Oma, von der das Mädchen schon seit Tagen erzählte.
Es war schon dunkel als Annegret in ihr Zimmer kam.
„Entschuldige Tinchen, aber Oma Betty ist gekommen und wir hatten so viel zu erzählen.“
„Ja, ich habe sie heute Morgen ankommen sehen, sie scheint sehr nett zu sein.“
Annegret warf ich aufs Bett und erzählte dem Stern von ihrer geliebten Oma.
Als Tinchen später in den dunkel Himmel hinauf sah, war ihr das Herz so schwer und Tränen liefen ihr über das Gesicht.
„Warum weinst du?“
Annegret verließ  ihr Bett und setzte sich neben den Stern auf die Fensterbank.
Eine Weile sahen sie schweigend in die dunkle Nacht, doch dann gestand Tinchen schluchzend  ihre Einsamkeit und ihr Heimweh  und ihre Angst nie wieder in den Himmel zurückzukehren.

Am nächsten Tag konnte  sich Annegret in der Schule kaum konzentrieren immer wieder überlegte sie wie man Tinchen nur helfen könnte, dann hatte sie eine Idee.
Sie konnte es kaum erwarten, bis die Schule zuende war und lief ohne auf ihr Freundinnen zu achten nach Hause.
Sie stürzte durch die Tür, warf den Mantel auf die Ablage, schlüpfte aus ihren Stiefeln, und raste die Treppe hinauf.
Die Oma und die Mutter sahen sich an und lachten.
„Weihnachtsgeheimnisse,“ murmelte die Oma.
Tinchen erschrak, als Annegret die Tür aufriss, hinter sich ins Schloss fallen ließ und sich  atemlos auf die Fensterbank setzte.
Was ist geschehen?“
Das Mädchen wedelte mit den Armen, denn es konnte noch nicht sprechen.
Grinsend wandte sich der kleine Stern ab und sah wieder hinaus.
„ Ich habe eine Idee, wer dir helfen kann, dass du wieder nach Hause kommst.“
„Wer?“
„Meine Oma.“
Aber sie ist ein Mensch und du hast gesagt, dass es besser ist, wenn die Mensch mich nicht sehen.“
„Ach meine Oma ist keine Gefahr und sie wird dich auch nicht verraten. Aber es gibt keinen klügeren Menschen als sie. Glaub mir sie findet einen Weg, wie du zurück in den Himmelt kommen kannst.“
„Annegret!“
„Ich muss zum Mittagessen, danach legt Oma sich immer hin, aber sobald sie wieder wach ist gehen wir zu ihr.“
 


 

So lange ist den beiden noch nie die Zeit geworden. Immer wieder schlich sich das Mädchen zu Omas Zimmer, öffnete vorsichtig die Tür, um enttäuscht festzustellen, dass die alte Frau immer noch die Augen geschlossen hatte.
Doch Oma Betty hatte den heimlichen Besucher längst bemerkt und als Annegret wieder leise die Tür öffnet, rief sie fröhlich.
„Komm schon herein, ich bin wach!“
Vorsichtig schleicht Annegret ins Zimmer und lässt sich zu Füßen ihrer Oma nieder.
Lange weiß sie nicht wie sie beginnen soll, dann streckte sie die Hand aus und Tinchen sprang darauf.
Die Oma zuckte zurück.
„Was ist das? Ein neues elektronisches Spielzeug.“
Langsam schüttelte das Mädchen den Kopf.
„Das ist ein Stern vom Himmel.“
Und die beiden erzählten nun der alten Frau Tinchens Geschichte.
Oma Betty lehnte sich zurück und murmelte nur:
 „Na sowas, na sowas,“
„Kannst du uns helfen, Oma?“
Diese schloss die Augen.
„Nun ist sie wieder eingeschlafen?“ flüsterte Tinchen.
„Nein, sie denkt nach.“
„Und wenn ihr beide ruhig wärt, dann könnte ich besser nachdenken.“
Still war es im Zimmer, man hörte nur das gleichmäßige Ticken der Uhr.
Oma Betty öffnete die Augen.
„Ich habe eine Idee.“
Erwartungsvoll sahen sie die zwei an.
„Am 23. um Mitternacht kommt doch das Christkind mit seinen Engel auf seinem Schlitten, um die Geschenke unter den Baum zu legen. Ich werde zusammen mit dem Stern im Wohnzimmer auf es warten und Tinchen kann dann mit dem Christkind zurück zum Himmel fahren.
Jubelnd fiel Annegret ihrer Oma um den Hals und Tinchen schmiegte sich dankbar an die Wange der alten Frau.
„Schon gut , schon gut,“ brummte die alte Frau, „nun verschwindet, ich will noch ein bisschen ruhen.“

Annegret und Tinchen vergingen die nächsten Tage viel zu langsam, doch endlich war der 23. Dezember da.Als  die Eltern schliefen, schlich sich das Mädchen in Omas Zimmer.
„Darf ich auch mitkommen?“
„Nein, dann würde das Christkind gar nicht kommen, Kinder dürfen es nicht sehen.“
Annegret umarmte Tinchen, dann ging sie in ihr Zimmer und war bald eingeschlafen.
Oma Betty und der kleine Stern setzen sich im Wohnzimmer in den großen Lehnstuhl und bald waren sie auch eingeschlafen.
 


 

Tinchen wurde wach als die Tür sich leise öffnete und die Englein huschten herein, jedes ein Geschenk in den Händen.
Hinter ihnen erschien das Christkind und der kleine Stern erzählte ihm seine Geschichte.
Das heilige Kind lächelte liebevoll, nahm den kleinen Stern an der Hand und beugte sich über die alte Frau und strich sanft über deren Stirn.
„Morgen wird sie alles vergessen haben,“ flüsterte sie und dann verschwanden alle so lautlos so wie sie gekommen waren.

Auch Annegret konnte sich am nächsten Tag nicht mehr an den Stern erinnern, denn in der Nacht hatte das Sandmännchen den Zauber des Vergessens über sie gestreut.

Tinchen aber hing wieder  am Himmel und strahlte heller als vorher. Knecht Ruprecht hatte sich bei ihr entschuldigt und fuhr in Zukunft vorsichtiger um die Kurven.

(Lore Platz) 20.11.2018




 

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