Hanna und die Weihnachtsgeschenke
Hanna hatte ihr Sparschwein geschlachtet.
Mitsamt dem stattlichen Inhalt fuhr sie mit dem Bus in die Stadt, um Weihnachtsgeschenke für ihre Eltern zu kaufen.
Mit strahlenden Augen ging sie durch die festlich geschmückten Straßen, blieb an den Schaufenstern stehen, in denen Sterne glitzerten, geschmückte Tannenzweige und Girlanden die Waren ins weihnachtliche Licht rückten.
Es war kalt geworden, Hanna zog ihre Mütze tief ins Gesicht und steckte die Hände in die Taschen.
Als es ihr gar zu kalt wurde, steuerte sie eine Buchhandlung an. Für ihren Vater, der gern las, wollte sie ein Buch kaufen. Es sollte eines sein, aus dem er ihr vorlesen konnte, denn die Zeit am Abend, wenn Vater vorlas, war die schönste des ganzen Tages.
Sie war schon öfter hier gewesen, denn sie liebte diese kleine Buchhandlung in der man stundenlang stöbern konnte, ohne von lästigen Verkäufern gestört zu werden.
Diesmal steuerte sie auf den Tisch mit den weihnachtlichen Büchern zu. Sie liebte die Geschichten die von Engeln, Weihnachtsmännern und dem Zauber der schönsten Zeit im Jahr handelten.
An einem Buch blieb ihr Blick hängen. Es hieß: Als der kleine Engel Jonathan einmal niesen musste. Hanna nahm das Buch ehrfürchtig in die Hand, setzte sich auf einen einladenden Sessel in der Leseecke und betrachtete lange den Einband.
Auf einer weißen Wolke saß ein kleiner Engel, dessen blonden Locken nach allen Seiten abstanden. In seinen Augen funkelte es voller Übermut und seine Nase war gekräuselt, als müsste er jeden Moment niesen.
Hanna schmunzelte. Dieses Buch wollte sie unbedingt haben und sie hatte das Gefühl, dass diese Geschichte ihr gefällt.
Das war ihr nämlich schon öfter passiert, dass sie ein Buch in die Hand nahm und instinktiv wusste, dass es ihr gefallen würde.
Plötzlich meldete sich ihr schlechtes Gewissen. Sie wollte doch ein Buch für Vater kaufen. Konnte sie denn einfach eines nehmen, was sie selbst gern haben wollte? War es denn dann noch ein richtiges Geschenk?
Aber eigentlich sollte er ihr daraus vorlesen?
Hanna überlegte, doch dann lachte sie. Papa liebte doch auch Weihnachtsgeschichten und dieser spitzbübische Engel würde ihm gewiss gefallen. Sie klemmte sich das Buch unter den Arm und marschierte zur Kasse.
„Na du!", sagte die freundliche Verkäuferin. „Hast du dir ein schönes Buch ausgesucht?"
„Es ist ein Weihnachtsgeschenk für meinen Papa!", verkündete Hanna stolz, von schlechtem Gewissen keine Spur mehr. Papa würde sich freuen und sie auch, das war das Wichtigste.
Die Verkäuferin betrachtete schmunzelnd das Buch.
„Soll ich es als Geschenk verpacken?"
Das Mädchen schüttelte heftig den Kopf.
„Nein, das möchte ich selbst machen, danke!"
Nachdem sie bezahlt und die kleine Papiertasche mit dem Buch entgegengenommen hatte, verließ Hanna vergnügt den Laden.
Für Mama musste sie noch ein Geschenk suchen. Mama strickte so gern, ein Knäuel Wolle wäre doch toll, dachte Hanna. Das kleine Handarbeitsgeschäft, in dem sie schon so oft mit Mama gewesen war, war gleich um die Ecke. Frau Meier begrüßte sie freundlich, als Hanna das Geschäft betrat und sich suchend umschaute.
Frau Meier kam lächelnd auf sie zu. „Kann ich dir helfen?"
Hanna krauste die Stirn. „Ich möchte für Mama Wolle kaufen ein Weihnachtsgeschenk."
„Oh da habe ich etwas ganz Besonderes, das würde sie freuen, komm mit."
Das Mädchen folgte der Frau zu einem Tisch, auf dem riesige Wollknäuel in allen Farben lagen.
Frau Meier holte ein buntes Knäuel hervor.
„Das ergibt ein schönes Muster beim Stricken und es reicht entweder für einen langen Schal, oder ein Paar Handschuhe oder für ein Paar Socken."
Hanna besah sich das wirklich große Knäuel und fragte vorsichtig:
„Wieviel kostet es?"
„10 € 5o!"
„So viel kann ich nicht ausgeben, denn ich muss ja auch noch für Oma und Opa ein Geschenk kaufen," meinte das Mädchen kläglich.
„Wieviel Geld hast du denn?"
„Sieben Euro!"
„Abgemacht, deine Mutter ist eine gute Kundin von mir, da kann ich gerne einen Weihnachtsbonus geben."
Glücklich verließ Hanna mit ihrem Päckchen das Geschäft.
Sie kaufte noch ein Stück von Omas geliebter Gewürzseife, die sie selbst auch so gern zum Hände waschen benutzte und für Opa erstand sie ein Rätselheft.
Daran hätte er sicher einige Tage seine Freude. Opa rätselte für sein Leben gern und er hatte sie bereits damit angesteckt. Längst kannte sie die geläufigsten Fragen aus den Kreuzworträtseln und leichtere Zahlenrätsel gelangen ihr ebenfalls schon.
Zuhause versteckte sie ihre Schätze in ihrem Zimmer.
Je näher das Weihnachtsfest kam, desto öfter zweifelte Hanna an der Wahl ihrer Geschenke.
Hatte sie nicht zu sehr an sich selbst gedacht und das gekauft, was sie selbst gern hätte?
Das Geschichtenbuch für Papa und die Wolle, die sie sich selbst als Mütze und Schal wünschte für Mama. War das nicht egoistisch?
Mama merkte, dass Hanna von Tag zu Tag trauriger wurde und sie fragte sich, was mit dem Kind los war.
„Hanna, geht es dir nicht gut?", fragte sie eines Abends, als sie die Tochter zu Bett gebracht hatte. Das Mädchen schmiegte sich an ihre Mutter. Erzählen wollte sie ihr aber nicht, dass ein schlechtes Gewissen Bauchschmerzen machte, denn dann hätte sie ja verraten, was sie schenken wollte.
„Es ist nichts, Mama. Alles ist gut!", sagte sie und schluckte. Jetzt hatte sie auch noch gelogen. Kein gutes Gefühl.
Der Heiligabend war gekommen, Hanna hatte ihre Geschenke verpackt und liebevoll kleine Karten an jedes gehängt, auf die sie die Namen und einen Gruß geschrieben hatte.
Sie konnte es kaum erwarten bis es Abend war. Wie immer gab es Würstel mit Kartoffelsalat und dann musste sie noch die Küche zusammen mit Oma saubermachen.
Während die Mama mit Opa und Papa im Weihnachtszimmer verschwand.
Endlich war es soweit!
Aus dem Wohnzimmer erklang Musik. Mama spielte auf dem Klavier "Ihr Kinderlein kommet". Das war das Zeichen, dass Hanna auch endlich eintreten durfte.
Da stand er, der Christbaum. Er war wunderschön geschmückt und die Kerzen strahlten hell. Andächtig sang Hanna zuerst alle drei Strophen von "Ihr Kinderlein kommet", dann noch das Lied von der Stillen und Heiligen Nacht.
„Frohe Weihnachten", wünschten sich alle und nahmen erwartungsvoll Platz.
Wie jedes Jahr durfte Hanna die Geschenke verteilen. Natürlich wählte sie als erstes ihre Gaben an ihre Lieben.
Oma hob immer wieder die Gewürzseife an die Nase und schnupperte daran. Opa wollte am liebsten gleich mit den Kreuzworträtseln anfangen.
Mama schmunzelte, als sie die Wolle auspackte und Papa fing schallend zu Lachen an, als er das Buch in der Hand hielt.
Als sie sich wieder beruhigt hatte, packte sie das Päckchen aus, das Mama ihr reichte. Sie betastete es zunächst von außen. Ein Wollknäuel war nicht drin, dafür war es zu flach. Sie löste vorsichtig die Klebestreifen vom Papier und beförderte ein Paar Socken, eine Mütze und ein Paar Handschuhe zutage, handgestrickt von Mama, mit haargenau der gleichen Wolle, die Hanna ihrer Mutter geschenkt hatte.
„Wir haben doch beide einen guten Geschmack!", sagte Mama und Hanna kicherte. „Ja, das stimmt!", sagte sie.
Dann lachten alle, denn Oma und Opa hatten nun auch gesehen, was passiert war.
Später saß Hanna still auf dem Boden und schaute verträumt in den leuchtenden Tannenbaum. Hinter sich hörte sie die leisen Stimmen ihren Lieben. Ihr Herz war so leicht, denn nun hatte sie kein schlechtes Gewissen mehr.
© Regina Meier zu Verl & Lore Platz
Die Geschichte hat mir sehr gefallen.
AntwortenLöschenDie Spannung vor dem Schenken und dann... gefällt das Geschenk???
Das hast du sehr gut hinbekommen.
Schöne Adventzeit wünscht Monika