Dienstag, 3. Dezember 2024

Der Geiger und das Jesuskind

 

 


 

 Der Geiger und das Jesuskind

Mit einem dumpfen Knall schließt sich das große Gefängnistor hinter Sebastian.
 

Fest umfasst seine Hand den Geigenkasten.
Mitten aus der Probe hatte man ihn damals verhaftet, denn er hatte einen Scheck seines Chefs gefälscht. 

Zwei Jahre war er nun im Gefängnis gewesen.
Er sieht sich um, doch niemand ist da, um ihn abzuholen.
 

Seine Eltern hatten ihn ein paarmal besucht und insgeheim hatte er gehofft, dass sein Vater jetzt hier wäre und ihn mit nach Hause nähme.
 

Leise beginnt es zu schneien und Sebastian steigt in den Bus, der ihn in die Stadt bringt.
In der Jackentasche steckt ein Zettel mit der Adresse eines Sozialarbeiters, der ihm weiter helfen sollte.
In der Stadtmitte steigt er aus.
 

Die Schneeflocken waren dicker geworden und die Straßen sind kaum zu sehen, trotzdem bemerkt er, dass alles weihnachtlich geschmückt ist.
Ach ja, morgen war ja der Heilige Abend.
 

Letztes Jahr hatte er ihn in der JVA verbracht. Sie sangen Weihnachtlieder in dem großen Gemeinschaftsraum und es gab sogar Plätzchen.
 

Von seinen Eltern war ein Paket gekommen.
Was sie morgen wohl machen und ob sie ihn überhaupt sehen wollen?
Auf einmal steht er vor einem Pfandleihhaus.
Sollte er die Geige versetzen? Ein paar Euro würde sie bestimmt bringen und er könnte sich eine ordentliche Mahlzeit kaufen.
Doch dann geht er entschlossen weiter.
Nein, die Geige hatte seinem Großvater gehört,lieber hungern.

Aus den dicken Schneeflocken ist inzwischen ein Schneesturm geworden.
Sebastian schlägt den Kragen seiner Jacke hoch und hastet vorwärts.
Er sieht kaum die Hand vor den Augen.
 

Plötzlich stößt er an eine Stufe und sieht eine Kirche vor sich.
Dort würde er Schutz finden vor dem grässlichen Wetter.
Mühsam drückt er die schwere Tür auf und schlüpft hinein.
 

Stille umfängt ihn.
Er setzt sich auf eine der Bänke und legt den Geigenkasten neben sich.
Es riecht nach Weihrauch und Tannen, denn ein großer Adventskranz hängt vorne am Altar von der Wand herunter. Die Dochte aller vier Kerzen sind schwarz. Am Sonntag war ja der vierte Advent gewesen.
 

Unter dem Adventskranz aber ist die heilige Familie aufgebaut.
Josef in seinem braunen schweren Umhang, den Blick in die Ferne gerichtet, als mache er sich Sorgen über irgendetwas.
Maria in einem blauen langen Kleid einen weißen Schleier über dem Kopf sieht voller Liebe auf ihr Kind.
Das Jesuskind aber liegt in der Krippe, die Hände weit ausgebreitet als wollte es die ganze Welt umarmen.
 

Auf einmal dringt ein Sonnenstrahl durch die bunte Scheibe des Kirchenfensters und Sebastian ist, als würde das Jesuskind ihn anlächeln.
Wie unter Zwang holt er seine Geige aus dem Kasten
und geht mit langsamen Schritten nach vorne.
Er hebt die Geige, stützt sie unterm Kinn ab und dann beginnt er zu spielen.

 Lieblich strömen die Töne hervor und er spielt so schön, wie er noch nie gespielt hat.
Die Geige jubelt und jauchzt zu Ehren Gottes und das Jesuskind strahlt ihn freundlich an.
Sebastian wird ganz warm ums Herz und er spürt wie all sein Kummer sich löst und mit den Tönen verschwindet.
 

Wie aus einem Traum erwachend lässt er die Geige sinken und bemerkt in der Tür zur Sakristei einen Priester, der Tränen in den Augen hat und nun mit
schnellen Schritten auf ihn zu kommt und ihm beide Hände entgegenstreckt.
 

Erschrocken wendet Sebastian sich um und eilt davon.
Der Pfarrer schürzt seine schwarze Soutane und läuft ihm nach.
„Junger Mann warten sie doch, sie sind die Erhörung auf meine Gebete.“
Sebastian bleibt stehen und wendet sich um.
Atemlos setzt sich der Priester in eine Bank und winkte ihn an seine Seite.
„ Man sollte fast an ein Wunder glauben, euch hat der Herrgott geschickt.“
 

Sebastian lacht bitter auf.
„Hochwürden, dann doch eher der Teufel. Ich bin ein Sünder und wurde gerade aus dem Gefängnis entlassen.“
Der Pfarrer sieht ihm lange in die Augen, dann
lächelt er.
„Ihr habt gute Augen und wenn ihr gerade aus dem Gefängnis kommt, dann habt ihre eure Strafe verbüßt.“
Ein verschmitztes Lächeln gleitet über sein Gesicht.
„Aber Gott liebt doch die Sünder, wisst ihr das nicht? Jesus selbst hat doch gesagt:
Gott freut sich mehr über 99 Sünder, als über einen Gerechten.“

Er packt Sebastian am Arm und zerrt ihn zur Sakristei.
„Kommt mit, meine Köchin soll uns einen guten Kaffee kochen und ich kann dir versprechen, sie hat einen prima Stollen und ihre Plätzchen zergehen auf der Zunge.
Du kannst mir ja dann erzählen warum du im Gefängnis warst und ich sage dir, warum ich denke dass der liebe Gott dich ausgerechnet heute in meine Kirchegeschickt.“ 

Auf den fragenden Blick von Sebastian erklärt er ihm, dass vor einigen Tagen die Orgel kaputt gegangen ist und die Reparatur länger dauern wird.
Aber über die Weihnachtstage hatten sie keine musikalische Begleitung.
Und er fragt ihn, ob er den Kinderchor mit
seiner Geige begleiten würde.
 

Mit strahlenden Gesicht nickt Sebastian.
Der Pfarrer bietet ihm sein Gästezimmer an und am Nachmittag ruft er den Chor zusammen, damit sie
noch miteinander üben können.
Und am Abend steht Sebastian mit dem Kinderchor vor dem Altar und seine Geige jubelt wie noch nie.

Und als er nach dem wunderbaren Liede:
„Stille Nacht, heilige Nacht“ die Geige sinken lässt sieht er in der ersten Bank seine Eltern sitzen, die beide Tränen in den Augen haben.“

© Lore Platz  2014



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