Freitag, 29. November 2024

Der Engel, der vom Schlitten fiel

 


Der Engel, der vom Schlitten fiel


Frederic lugt vorsichtig in die Backstube, aus der köstliche Düfte seine Nase kitzeln und locken.

Er grinst vergnügt als er niemanden dort erblickt und eilt mit schnellen Schritten zu dem Regal, wo die Plätzchen zum Auskühlen abgestellt sind.

Vergnügt langt er in eine der Dosen, holt sich eine Handvoll heraus und stopft sie in den Mund.

Mit dicken Backen kauend sieht er sich nach einer neuen Sorte der leckeren Kekse um.

Dachte ich doch, dass du Leckermaul hier bist!“, reißt ihn die Stimme seines Freundes Markus aus seinen seligen Gedanken.

St. Nikolaus wartet in der Halle und alle suchen nach dir!“

Frederic schluckt schnell den Rest hinunter, schürzt sein Kleidchen und rast durch den Himmel.

Atemlos erreicht er die große Halle, in der St. Nikolaus neben dem voll bepackten und startbereiten Schlitten bereits auf ihn wartet.

Der weiße Schimmel scharrt schon ungeduldig mit den Hufen.

Petrus der neben Nikolaus steht wirft Frederic einen finsteren Blick zu und grollt.

Länger hätten wir jetzt nicht mehr gewartet und ein anderer Engel hätte St. Nikolaus auf die Erde begleitet!“

Frederic wird rot und wirft dem Bischof einen entschuldigenden Blick zu, dann klettert er blitzschnell auf die Pakete im Rücksitz des Schlittens.

Das große Himmelstor öffnet sich und sie schweben durch die Wolken auf die Erde.

Unten angekommen geht es in Windeseile durch Städte und Dörfer.

Der kleine Engel, der zum ersten Mal auf der Erde ist kommt aus dem Staunen nicht mehr heraus.




Leider verweilen sie immer nur kurz an einem Ort und

Frederic ist so beschäftigt mit Päckchen schleppen und an die Kinder verteilen, dass er wenig von seiner Umgebung sehen kann.

Als sie durch einen Wald fahren, fliegt plötzlich vom Baum eine Ladung Schnee herunter und direkt auf den Engel, der ganz oben auf den Päckchen thront, um ja alles um ihn herum im Blick zu haben.

Er schwankt und stürzt vom Schlitten.

St. Nikolaus , der nichts bemerkt hat, fährt ahnungslos weiter.

Der kleine Engel liegt einen Moment benommen im Schnee.

Als er die Augen wieder öffnet haben sich die Tiere des Waldes um ihn geschart und betrachten ihn neugierig.

Hallo, könnt ihr nicht St. Nikolaus nachlaufen und ihn aufhalten?“

Ein Hirsch, der sich etwas abseits gehalten hat, tritt nun näher.

Tut mir leid, kleiner Engel, aber der Schlitten des Nikolaus ist viel zu schnell für uns, den können wir nicht mehr einholen.“

Ich heiße Frederic,“ stellt dieser sich vor.

Angenehm, mein Name ist Adrian.“

Und wir sind Hoppel, Poppel und Stups!“ rufen die Hasen.

Es raschelt im Gebüsch und ein Eichkätzchen kommt heraus.

Hört mal die kleine Annika sitzt da vorn und weint.“

Dann sieht es den Engel.

Wer bist denn du?“

Der kleine Stups drängt sich nach vorn und erklärt wichtig:

Das ist Frederic, er ist vom Schlitten des Nikolaus gefallen!“

Dieser hat sich inzwischen erhoben und klopft sich den Schnee aus dem Kleidchen.




Wer ist denn Annika und ist sie auch gefallen, oder warum weint sie?“

Annika ist ein kleines Mädchen und wohnt mit ihrer Mutter in dem Häuschen am Waldrand.

Sie ist sehr lieb und immer nett zu uns Tieren.

Warum sie weint, weiß ich nicht, aber du könntest sie ja fragen.

Du sprichst doch die Sprache der Menschen?“

Frederic nickt und zusammen mit den Tieren gehen sie zu dem Mädchen, das auf einem Baumstamm sitzt und bitterlich weint.

Mitleidig umringen sie die Tiere und schniefend fährt sich das Mädchen mit dem Handschuh über die Augen.

Dann starrt sie Frederic mit offenen Mund an.

Du bist ja ein Engel!“

Ja und ich heiße Frederic, aber sag warum weinst du denn?“

Das Mädchen deutet auf den Korb, der neben ihr steht.

Ich habe Tannenzapfen und kleine Äste gesammelt zum Anheizen, dann habe ich den Schlitten des Nikolaus bimmeln gehört und bin losgelaufen, um ihn zu sehen.

Dabei habe ich mich verlaufen!“

Die Tiere können dir bestimmt den Weg nach Hause zeigen, nicht wahr?“ wendet sich der Engel an diese.

Diese nicken.

Und bald sind sie alle zusammen auf dem Weg zum Haus am Waldessrand.

Annika hat Frederic angeboten bei ihnen zu warten, denn der Hl. Nikolaus kommt immer auf dem Rückweg bei ihnen vorbei.

Die Tiere kehren in den Wald zurück und der Engel folgt dem Mädchen ins Haus.

Die Mutter blickt erstaunt auf den Jungen der im Kleidchen und barfuß ihre Stube betritt.

Mein Junge, du musst ja frieren, komm schnell zum Ofen und setz` dich.“

Frederic lacht vergnügt. „Engel frieren nicht!“

Ach du bist ein Engel?“ fragt Annikas Mutter etwas zweifelnd.

Ja, stell dir vor, St. Nikolaus ist mit seinem Schlitten durch den Wald gefahren und Frederic ist herunter gefallen.

Nicht wahr er kann doch bei uns warten, bis der Heilige Bischof heute Abend bei uns vorbeikommt?“

ruft Annika, die sich inzwischen aus dem Mantel geschält hat und mit ein paar flauschigen Pantoffeln in der Hand in die Stube kommt.

Sie hält sie dem Engel hin und dieser schlüpft hinein.

Voller Wohlbehagen lächelt er.

Die sind aber schön weich!“

Mama dürfen Frederic und ich auf mein Zimmer gehen?“

Diese nickt abwesend, sie sitzt bereits wieder an ihrer Nähmaschine, den bald kommt eine Kundin zur Anprobe.

Annika zeigt nun dem Engel ihr kleines Reich.

Auf dem Bett sitzen mehrere Plüschtiere und der Engel erkennt einige, die im Himmel genäht worden sind.

Da meint Annika auch schon:

Die hat mir alle das Christkind gebracht, jedes Jahr eines.“

Was hast du dir denn für dieses Jahr gewünscht?“

Weißt du das denn nicht?“

Aber nein, für die Briefe sind andere Engel zuständig,“ meint Frederic und gesteht etwas verschämt:

Ich kann noch nicht so gut lesen!“

Oh ich kann schon ganz gut lesen! Lesen ist sooo schön!

Ich bin ja auch schon in der zweiten Klasse und ich habe mir vom Christkind ein großes Geschichtenbuch und Schlittschuhe gewünscht, glaubst du ich bekomme das?“

Frederic nickt ernst:

Bestimmt, du bist ja ein ganz braves Mädchen und außerdem sind es ja gar keine ausgefallenen Wünsche.“

Das wäre schön! Willst du mal sehen welche Geschenke ich für Weihnachten gebastelt habe?“

Ihr Menschen fertigt auch Weihnachtsgeschenke?“

Nun staunt der Engel aber.

Aber natürlich, weißt du, die Erwachsenen bekommen doch nichts vom Christkind, also habe ich für Mama eine kleine Schachtel für ihre Nähnadeln ..., warte ich zeig sie dir.“

Sie läuft zum Schrank und kramt darin herum, dann kommt sie mit einem wollenem Tuch und legt es vorsichtig auf den Boden.

Die Beiden setzen sich und Annika schlägt das Tuch auseinander und zeigt ihm ihre Schätze.

Eine hübsch bemalte Schachtel für die Mama, noch eine Schachtel mit buntem Papier beklebt, für die Pfeifenreiniger des Opas und einen gehäkelten Topflappen, der leider etwas schief geraten ist, für die Oma.

Traurig sieht Annika auf ihre Schätze und seufzt.

Nur für die arme Frau Markwart habe ich noch nichts, denn ich weiß nicht was ich ihr schenken soll, hast du keine Idee?“

Ich kenne die Frau doch gar nicht.“

Sie ist ganz ganz lieb, aber sie kann nicht mehr laufen, und muss den ganzen Tag im Rollstuhl sitzen. Morgens kommt immer der Pflegedienst und wäscht sie, dann helfen sie ihr beim Anziehen und dann sitzt sie den ganzen Tag am Fenster und sieht hinaus.“

Hat sie denn keine Kinder?“

Nein sie ist ganz allein, manchmal gehe ich mit Mama hinüber, wir bringen ihr dann eine Suppe oder einen Kuchen.Sie freut sich immer so.

Ach sie ist immer so lieb und freundlich und ich würde ihr so gerne eine Freude machen.“

Frederic stützt den Kopf in die Hände und überlegt angestrengt und Annika beobachtet ihn gespannt dabei.

Könntest du ihr denn nicht auch einen Topflappen häkeln wie deiner Oma.“

Das Mädchen schüttelt den Kopf, „ das geht so schrecklich

schwer und außerdem kocht Frau Markwart ja nicht mehr.“

Frederic wirft einen Blick zum Regal, auf dem einige Bücher stehen.

 


Und wenn du ihr eines deiner Bücher schenkst, du hast doch gesagt , dass Lesen so schön ist.“

Ihre Augen sind so schwach!“

Wieder versinkt der Engel in Gedanken, dann ruft er plötzlich:

Ich weiß etwas, du schenkst ihr Zeit!“

Wie soll das denn gehen?“

Du gehst jeden Tag zu ihr und liest ihr etwas aus deinen Büchern vor, das freut sie bestimmt und sie ist nicht mehr so allein und sie hat jeden Tag etwas worauf sie sich freuen kann.“

Annika umarmt den Engel stürmisch.

Das ist eine gute Idee! Aber wie verschenkt man denn Zeit?“

Schreibe ihr einen Brief!“

Bald liegen beide bäuchlings auf dem Boden und basteln an dem Brief für die alte Frau.

Sie malen große Buchstaben, damit sie es auch lesen kann.

Dann faltet Annika das Blatt zusammen und sie laufen hinunter, denn das Mädchen hat beschlossen nicht bis Weihnachten zu warten, sondern heute zum Nikolaustag ihr Geschenk zu überreichen.

Auch die Mutter findet es für eine gute Idee und gibt ihnen noch eine Tüte mit selbstgebackenen Plätzchen mit.

Wie staunt die alte Frau, die etwas verloren am Fenster sitzt, als ein Engel und die kleine Annika zu ihr kommen.

Und Tränen laufen ihr über das Gesicht, als sie den Brief liest und Annika ihr erklärt, wie das gemeint ist und sie jeden Nachmittag nun vorbei kommt, um ihr vorzulesen.

Als sie nach einer Weile wieder gehen, lassen sie eine glückliche alte Frau zurück, denn nun hat sie etwas auf das sie sich jeden Tag freuen kann.

 



Später kommt dann der Hl. Nikolaus zu Annika.

Er ist auch gar nicht erstaunt, Frederic dort zu treffen, denn die Tiere haben es ihm bereits gesagt.

Lange noch winken Annika und ihre Mutter dem Schlitten nach.


© Lore Platz  2014


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